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So ist die Dramedy "Deadlines" entstanden: Johannes Boss und Nora Gantenbrink über die Drehbucharbeit

Interview mit Einblicken und Tipps zur Drehbucharbeit: Für ZDFneo haben Johannes Boss und Nora Gantenbrink die Comedy-Serie „Deadlines“ geschrieben. Darin geht es um die vier „Goldstein Girls“ Elif, Franzi, Jo und Lena, die ihre Freundschaft erneuern und Anfang ihrer Dreißiger mit den Deadlines des Lebens konfrontiert werden.

Als ich gelesen habe „Die neue Serie von Johannes Boss“ habe ich mit brachialerem Humor und mehr Fremdscham gerechnet, als in der Serie tatsächlich zu sehen sind. Wie hat sich die Arbeit an „Deadlines“ zu der an deinen vorherigen Serienprojekten unterschieden, Johannes?

Johannes: Die Figuren sind einfach ganz andere, und mit ihnen die Erzählwelt. Wir haben zu Anfang ganz viel über sie gesprochen, haben sie kennengelernt, jeweils ein Verständnis entwickelt, wie sie denken und handeln würden – auch in total abseitigen Situationen. Dann hast du Klarheit: Wie agieren sie? Wo sind ihre Fehler, ihre Peinlichkeiten? Und wenn du diese Klarheit hast, dann kannst du sie danach überall hinschicken: In jeden Konflikt, in jedes Genre, theoretisch könnten die vier auch in einem Science-Fiction-Film als Gruppe funktionieren.

Worin liegt für dich der Unterschied zum Beispiel zu „jerks.“?

Johannes: Bei „jerks.“ und anderen Projekten sind wir an die Grenzen des Erträglichen gegangen – auch wenn mir die fragilen und leisen Töne der Serie auch wichtig sind. Hier geht es darum, dass man an den Figuren bleibt, sich an sie klebt. Es ist eine Character-driven Comedy, oder um noch spezieller zu sein, eine Character-driven Dramedy.

Nora, das war deine erste Comedy-Serie und deine erste Serie überhaupt. Was war da deine Herangehensweise? Unterscheidest du beim Schreiben zwischen Comedy und Drama?

Nora: Ich habe schon viele fiktive belletristische Geschichten und journalistische Geschichten geschrieben, aber noch nie ein Drehbuch. Selbst das Schreibprogramm „DramaQueen“ hat mir Johannes erklärt, das war alles Neuland für mich. Genres sind mir eigentlich nicht wichtig. Mir ist es egal, ob man Deadlines als Dramedy oder Comedy bezeichnet. Ich finde, das ist so Form-follows-function. Die Geschichte ist halt wichtig und die muss einfach gut sein. Alles andere sind ja nur Labels. Von mir aus kannst du die Serie auch Erotik-Thriller oder Splatter nennen. Hauptsache, sie gefällt dir.

Wie ist die Idee zur Serie entstanden? Wann seid ihr eingestiegen?

Nora: Das ist sehr dynamisch gewesen, würde ich sagen. Die Grundidee und der Titel „Deadlines“ stammen von der Produktionsfirma Turbokultur. Damals gab es noch eine sehr weite Vorgabe: Irgendwas Lustiges mit Frauen um die 30. Es gab ein erstes Team, in dem waren zum Beispiel Julia Klett von Turbokultur, die Regisseurin Arabella Bartsch und ich. Es gab also schon eine Konstellation mit vier Figuren, die aber noch nicht so waren, wie Johannes und ich sie dann weiter entwickelt haben. Im Prozess wurde es konkret und die Figuren sind so entstanden, wie man sie jetzt sieht.

Johannes: Das ganze war übrigens im Rahmen von einer ZDF-Ausschreibung für die neue Sitcom-Schiene. Wir hatten erstmal ein kleines Entwicklungsbudget für zwei Folgen, die wir rausgehauen haben und die sich für uns sehr gut angefühlt haben beim Schreiben. Die haben das ZDF schnell überzeugt.

Was ist so vorteilhaft daran, gleich ein ganzes Buch statt einem Exposé schreiben zu lassen?

Johannes: Exposés sind immer abstrakte Werke. Das kann sich dann gut anhören, aber es beweist noch nichts. Es wird ja nie eine Figur einen Exposé-Text vorlesen. Deswegen werbe ich dafür, dass man den Produktionen das Entwicklungsbudget für eine Folge, für ein oder zwei Drehbücher gibt und dann schaut, wie das Ganze funktioniert. Das hat das ZDF super gemacht und uns dann auch schnell zugesagt. Wir hatten schon bewiesen, dass es funktioniert und konnten so mit großem Rückenwind die anderen sechs Folgen schreiben. Wir saßen nicht da und mussten die Serie dann neu entwickeln, sondern hatten den Grundstein mit den ersten beiden Folgen. Dann haben wir auch gesagt: Es wird so sein, dass die ersten Folgen etwas plakativer sind als die weiteren. Die 28. Folge wird irgendwann so fein erzählen können, weil du schon ganz viel über die Figuren weißt.

Das hört man in der Rezeption auch: Die ersten Folgen sind noch etwas plakativer.

Johannes: Das geht gar nicht anders, weil du deine Figuren unbedingt erst mal klar greifbar machen musst, damit du später twisten und die Schattierungen zeigen kannst.

Wie lief die Zusammenarbeit zwischen euch beiden? Wo habt ihr euch ergänzt? Wie habt ihr die Schreibarbeit aufgeteilt?

Nora: Wir hatten von Anfang an einfach einen fantastischen Flow. Es war fast ein bisschen unheimlich: Wenn er mir was geschickt hat, dachte ich: Boah, mega geil. Dann hab ich was geschrieben, dann hat er gesagt: Boah, mega geil. Wenn Johannes was geschrieben hat, hab ich voll oft gedacht: Geil, den Dialog hättest du eigentlich auch selber gern geschrieben. Klar gab es auch Sachen, an denen wir mehr gefeilt haben, wie Johannes schon gesagt hat. Die hinteren Folgen gingen schneller als die ersten. 

Johannes: Es geht um eine Kommunikation im Schreiben, die wenig Erklärungsbedarf hat. Das ist für mich auch manchmal das Problem an Writers Rooms: Man erklärt mehr als man erfindet. Wenn du das Gefühl hast, du hast jemanden gefunden, dem musst du nicht deine rohen Gedanken erklären, sondern er oder sie kapiert das sofort, dann sage ich: Okay, mach einen Writers Room. Arbeitet zusammen, weil du nicht so viel Produktivität in der Erklärung und Vermittlung der ganzen Geschichte lassen wirst. 

Nora: Das stimmt, es gab nie so ein Kommunikationsproblem. Es war nie so, dass Johannes gesagt hat „Dann könnte Elif das und das machen“ und ich hab gesagt „Versteh ich nicht“ oder „Warum?“. Es war richtig Ping-Pong-mäßig einfach. Das hat einfach total Spaß gemacht.

“Bei Männern sehe ich sehr viel Auserzähltes […] Bei Frauen wurde vieles noch nicht angetastet.”

Johannes Boss

Johannes, ist es dir manchmal schwer gefallen, als Mann eine Serie über die Lebensphasen von Frauen zu schreiben oder dich in Frauen hineinzuversetzen? Und Nora, hattest du manchmal vielleicht auch die Rolle, die Vorstellungen eines Mannes über Frauen zu korrigieren?

Nora: Johannes kann sehr gut aus Frauensicht schreiben. Ich hatte nicht das Gefühl, dass man da irgendwas korrigieren musste. Wenn es einen Writers Room gegeben hätte mit fünf Typen, die vier Frauencharaktere schreiben, hätte ich natürlich gesagt: Okay, das finde ich problematisch.

Johannes: Ich hatte selten das Gefühl, dass Nora sagen musste: Moment, du hast hier als Mann irgendwas falsch gedacht. Ich habe eigentlich in den letzten Jahren – „jerks.“ ausgenommen – mehr Inhalte mit weiblichen Hauptfiguren gemacht. Ich schreib nach dem Lustprinzip, ich will mir selber etwas erzählen, das ich noch nicht, oder noch nicht so gut erzählt, gehört habe. Ich nehm’s mir einfach raus, als Konsument und auch als Autor komplett unabhängig vom Geschlecht Figuren zu suchen, die mich interessieren. Bei Männern sehe ich sehr viel Auserzähltes, gerade in diesem Comedy-, Dramedy-, Weirdness-Bereich. Bei Frauen wurde vieles noch nicht angetastet. Lange war die Annahme, dass Zuschauer*innen eher pikiert auf eine schräge weibliche als auf eine schräge männliche Figur reagieren. Jetzt fängt das an, sich zu verändern.

Wie schreibt man gute und vor allem lustige Dialoge?

Johannes: Wichtig ist, viel Wissen über die Figur zu haben, also was sie antreibt, was sie hassen. Und das zweite ist, den Sound irgendwie zu spüren. Manchmal ist es auch andersrum bei mir, da habe ich nur den Sound und lasse die Figur erst mal sprechen und während sie spricht, lerne ich sie kennen. Ich lese immer wieder, dass man die vier Figuren glaubt. Das ist das Essentielle! Es können auch mal drei schlechte Folgen dabei sein. Wichtig ist aber, dass du weiterhin wissen willst, was mit ihnen passiert.

Kannst du erklären, was du mit Sound meinst?

Johannes: Es gibt ein paar Muster, die man etabliert und auch unbedingt benutzen muss. Bei „Deadlines“ heißt das konkret: Elif hat einen frontalen Sound, mit dem kannst du alles adressieren. Du kannst über jedes Problem fett eine Punchline setzen. Lena widerspricht sich innerhalb eines Satzes. Das heißt, du kannst total flatterig schreiben und denken. Es ist sehr wohltuend, zwischendurch als Lena zu denken. Damit kannst du so ein inneres Stottern artikulieren, das du sonst wegdrückst. Bei Jo ist die Abseitigkeit besonders wichtig. Sie kifft nicht immer, aber hat immer etwas Bekifftes in sich. Franzi ist oft die vierte, die noch was sagt und nicht ganz so das Thema erwischt. Das macht auch total Spaß zu schreiben. 

Verändert sich so ein Drehbuch noch mal, wenn der Cast feststeht und man Gesichter vor Augen hat?

Johannes: Wir haben das parallel gemacht. Weil ich nicht nur schreibe, sondern Showrunner bin, konnte ich sagen: Wir schreiben, während wir casten. Das ist eine Riesenerkenntnis für mich. Das werde ich nur noch so machen. Das Schreiben ist eine Annäherung und hat sich mit der Entscheidung des Casts total präzisiert.

Nora: Es war sehr gut, dass wir dieses Konstrukt hatten, und mit Johannes jemanden, der den Cast auch auswählt und die Drehbücher absolut versteht, weil er sie halt mit erschaffen hat. Er hat gemerkt: Nehmen die das auf? Wer trägt das? Wer kann improvisieren? Als dieser Cast feststand, war das einfach fantastisch. Eine zweite Staffel zu schreiben mit dem genauen Wissen, wer das wie performen kann, und wer welche Schwächen und Stärken hat, ist dann nochmal ein Upgrade.

Genau, Johannes, du bist auch Showrunner von „Deadlines“. Du hattest also eine Gesamtverantwortung für die Serie. Abgesehen vom Casting: Wie verändert das noch deine Arbeit? Wie wirkt es sich auf eine Serie aus, dass es einen Showrunner gibt?

Johannes: Du hast jeweils das Universum in deinem Kopf und kannst auch mit Leuten, die eher handwerklich arbeiten, sehr inhaltlich sprechen. Alle Macht geht sozusagen vom Buche aus. Ein Beispiel: Wenn du überlegst, wie das Kostüm von einer Figur aussieht, kannst du das auf einer reinen Kostümebene diskutieren oder du kannst sagen: Die Figur glaubt an diese Dinge im Leben, hat das und das erlebt. Du weißt ganz viel darüber und kannst jeden einzelnen Fertigungsschritt, Kostüm, Dreh, Schnitt, Musik, jeweils mit dem Buch im Kopf verhandeln. Das hilft, die Vielschichtigkeit der Geschichte hinzubekommen.

Wie wirkt sich das auf die Zusammenarbeit mit der Regie aus?

Johannes: Es gibt natürlich immer eine gewisse Reibung mit der Regie am Set, aber wir haben eine gute Balance gefunden. Die Regie inszeniert, aber von mir kommt immer auch ein Korrektiv. Wir hatten zwei unterschiedliche Regisseurinnen, die ziemlich unterschiedlich gearbeitet haben. Am Ende im Schnitt ging es für mich darum, das zu einem Punkt zu führen, letzte Entscheidungen zu treffen. Ich habe zum Beispiel für mich den Fokus darauf gesetzt, „Witziges“ oder Überstilisiertes zu reduzieren und zu einer Glaubwürdigkeit der Erzählung zu kommen.

Habt ihr Tipps für Leser*innen, die Ambitionen als Drehbuchautor*in, insbesondere im Humorbereich, haben?

Johannes: Mit Anfang zwanzig habe ich mir so ein paar Standardwerke geholt. Danach hatte ich das Gefühl, ich will nie Drehbuch schreiben. Das war eine Übertheoretisierung und alles Intuitive wurde ausgeblendet. Es führt auch oft zu Filmen und Serien, die nach einem Schema F geschrieben werden. Stattdessen empfehle ich, gute Drehbücher zu lesen, wenn du etwas an einem Film magst. Es gibt eigentlich zu fast allen großen, wichtigen Filmen im Internet das Drehbuch. Das einfach runterladen und lesen und sehen, wie man’s dort macht. So habe ich es zumindest gemacht.

Nora: Ich glaube, dass man immer gut beraten ist, wenn man etwas schreibt, das man auch selber lesen oder sehen wollen würde. Ich merke gerade bei manchen Stoffen, die mir angeboten werden, dass ich das niemals gut schreiben könnte, weil es mich einfach nicht interessiert. Aber für die Goldstein Girls und ihre Leben interessiere ich mich. Eigentlich ist unser Ziel jetzt, gemeinsam mit denen alt zu werden.

 

Dass das nicht nur in unseren Köpfen Bock gemacht hat, sondern auch den Menschen da draußen. Das berührt mich echt.”

Nora Gantenbrink

Dann wünsche ich euch das zum Schluss: Mit den Goldstein Girls alt zu werden.

Nora: Ich will noch eine Sache sagen, die mir wichtig ist. Ich glaube, Johannes ist da gelassener, weil er tausendmal mehr Erfahrung hat als ich. Mir hat dieser ganze Prozess brutal Bock gemacht. Aber kurz vor der Erscheinung ging es mir echt schlecht. Ich dachte: Was ist, wenn das keine Sau lustig findet? Das hat mich echt fertig gemacht. Und jetzt kriegen wir einfach so viele Kritiken und positive Nachrichten von Leuten, die auch noch nicht mal Zielgruppe sind und das freut mich einfach brutal: Dass das nicht nur in unseren Köpfen Bock gemacht hat, sondern auch den Menschen da draußen. Das berührt mich echt. Dass die vier jetzt rausgehen und die Menschen begeistern, das finde ich grandios. 

Vielen Dank für das Interview!

Vor “Deadlines” hat Johannes Boss zuvor u.a. alle vier Staffeln der Comedyserie „jerks.“ mit Christian Ulmen geschrieben, außerdem wirkte er mit an der TVNOW-Serie „Keine besonderen Ereignisse“ und am Kinodrehbuch von „Er ist wieder da“. Nora Gantenbrink ist Kulturredakteurin beim SPIEGEL und schrieb bereits Kurzgeschichten und den 2020 veröffentlichten Roman „Dad“. „Deadlines“ ist ihr Debüt als Drehbuchautorin.

Alle Folgen „Deadlines“ sind hier in der ZDFmediathek abrufbar. Die lineare Ausstrahlung erfolgt noch bis zum 3. August jeden Dienstag um 23:15 Uhr auf ZDFneo.

Interview: Eike Lennart Sell

22.07.2021

Fotos: Privat (oben links), Tamina Florentine-Zuch (oben rechts)

Disclaimer: Der Interviewer arbeitet auch für Turbokultur, die Produktionsfirma von „Deadlines“, war jedoch nicht in die Produktion der Serie involviert.

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