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„KussKuss Komedy“: Vom Open Mic zur interaktiven Digital-Show

Jonas Imam

Aus bekannten Gründen hat Comedian Jonas Imam sein Berliner Open Mic ins Netz verlegt. Das hat nicht nur Nachteile. Die digitale Variante hält die Comedians nicht nur im Training, sondern fördert außerdem auch ein spannendes neues Show-Format mit neuen Erlösmöglichkeiten zutage – auch nach Corona, wie er im Interview erzählt.

Jonas, du bist Stand-up-Comedian und auch Veranstalter von lokalen Comedy-Shows in Berlin. Seit knapp einem Jahr kannst du diesen Beruf nur sehr eingeschränkt ausüben. Wie geht es dir in dieser Zeit?

Überraschend gut. Aber das hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass ich noch einen Halbtags-Day-Job habe. Ich bin jetzt also nicht in ein totales Loch gefallen, wie viele andere aus der Brache. Und ich habe relativ viele Projekte im Internet angefangen oder ausgebaut und kann dadurch noch etwas machen.

Lass uns mal ein paar Monate zurückgehen in den Sommer und frühen Herbst 2020. Da habt ihr erstmals wieder Shows unter Hygieneauflagen gemacht. Wie hast du diese Shows erlebt? Ist dabei was verloren gegangen?

Ja natürlich! Wir mussten das Publikum teilweise auf ein Drittel runterdrücken. Wir haben für unsere Shows sowieso eher kleinere Locations, mit Publikum von 40 bis 80 Personen im Normalfall. In kleinen Locations wirkt die Reduzierung zunächst nicht ganz so schlimm. Aber es fehlt die Energie. Es ist immer eine weirde Stimmung, weil alle immer ein bisschen vorsichtig sind. Früher hat man sich freundlich begrüßt mit Handschlag und Umarmung. Jetzt waren alle auf möglichst viel Abstand, Maske tragen, ständig Hände desinfizieren, Mikrofone desinfizieren. Wir haben in der Location tatsächlich mit einem Zollstock ausgemessen, wie weit die Sitze und Tische voneinander entfernt sind. Haushalte konnten ja zusammensitzen, aber dann mussten wir auch immer darauf achten und die ganzen Adressen aufnehmen. Das hat schon die Stimmung ziemlich gedrückt und auch natürlich dafür gesorgt, dass das Publikum befangener war.

Gab es auch positive Beobachtungen?

Ich hatte das Gefühl, dass das Publikum auch einen enormen Bedarf hatte, dass sowas überhaupt noch geht, also dass überhaupt noch irgendwas geht. Im Endeffekt: Dass sie eine Live-Veranstaltung besuchen konnten, dass sie dieses Live-Feeling auch noch mal haben konnten, dass sie nicht alleine zuhause vor dem Bildschirm sitzen. Wir hatten kein Problem, die verfügbaren Sitze vollzukriegen. Aber wir mussten ständig Leute wegschicken. Wir mussten ständig sagen „Ne, sorry, wir können jetzt hier nur noch 15 Leute reinlassen“ statt wie sonst fast 50 oder so.

Wie hat sich das für euch Comedians angefühlt, vor so einem reduzierten Publikum zu spielen?

Es war schwieriger. Gerade für die Newcomer-Comedians. Das war natürlich tough, weil es natürlich schwierig ist, unter diesen Umständen eine Atmosphäre zu erzeugen, bei der die Leute richtig Bock haben und so richtig abgehen. Ich kann mich selbst noch an Zeiten erinnern als wir angefangen haben und wie ich damit umgehen musste, wenn wir nur fünf Leute zu unserem Open Mic gekommen waren.

Und finanziell?

Geldmäßig konntest du es natürlich vergessen. Vielleicht kein Minusgeschäft, bestenfalls auf Null. Wir arbeiten oft spendenbasiert. Die Leute waren zwar relativ großzügig und haben schon eher mehr gegeben als sonst. Aber du konntest halt nichts verdienen damit.

“Open Mics sind Trainingsräume für das, was man dann nämlich eigentlich machen sollte: Mit seinem Solo auf Tour gehen, Auswärtstermine machen, vielleicht zu großen Shows in größeren Locations gehen, bei denen mehr Geld rumkommt.”

Vor dem Hintergrund einer Nullrechnung bei gleichzeitig höherem Aufwand: Könntest du dir vorstellen, angenommen die Pandemie dauert noch sehr lange, auch über einen längeren Zeitraum, mit solchen Einschränkungen Shows zu veranstalten oder ist das nur als Übergangslösung für einige Monate denkbar?

Es nervt ein bisschen, aber es ist besser als gar nichts. Ich habe jetzt vorher auch nicht viel Geld mit solchen Shows verdient. Insofern war die Motivation auch immer eher, Stand-up zu machen und zu veranstalten und die Szene am laufen zu halten. Was halt nervt, ist, dass du im Endeffekt keine Ausbaumöglichkeiten mehr hast.

Was meinst du mit Ausbau?

Open Mics sind Trainingsräume für das, was man dann nämlich eigentlich machen sollte: Mit seinem Solo auf Tour gehen, Auswärtstermine machen, vielleicht zu großen Shows in größeren Locations gehen, bei denen mehr Geld rumkommt. Die Open Mics sind wichtig, um an Material zu arbeiten und gut zu werden.

Seit November sind Präsenzveranstaltungen wieder komplett verboten. Dein Open Mic „KussKuss Komedy“ setzt du nun aber online, in digitaler Form, fort. Was ist das Konzept von „KussKuss Komedy Digital“?

Es ist ein Open Mic: Alle Comedians können hinkommen, egal ob Anfänger, Fortgeschrittene, Leute, die berühmt sind. Jeder bekommt die selbe Zeit, nämlich sieben Minuten, wie bei unseren Open Mics vor Ort. Es gibt halt kein Publikum im Raum sondern nur eine Bühne, ein Mikrofon und Kameras, die den Auftritt streamen. Die Zuschauer loggen sich ein mit einem speziellen Account mit ihren Webcams und ihren eingebauten Mikrofonen und werden dann sozusagen live angezeigt, so dass man immer noch sowas wie ein Publikum hat, das man sehen kann, mit dem man auch interagieren kann.

Ist das nicht sehr schwierig für die Comedians?

Wir haben Glück gehabt, weil wir mit David von Felten einen Producer gefunden haben, der eine relativ gute technische Aufstellung hingekriegt hat, so dass wir im Raum auch bis zu sechs sehr große Bildschirme stehen haben. So Riesendinger, die man vielleicht sonst in eine Bar hängen würde für Fußballübertragungen. Darauf werden uns dann die Zuschauer angezeigt.

Jonas Imam als Comedian auf der Bühne

Und wie funktioniert die Interaktion mit dem Publikum?

Eine kleine Verzögerung muss man immer einkalkulieren, aber die ist tatsächlich recht gering. Durch die Technik, die unser Producer verwendet, ist relativ wenig Lag da. Leute, die eine vernünftige Internetverbindung haben, werden fast zeitgleich übertragen, so dass du nicht so viel Abstand hast zwischen „Ich mache jetzt einen Joke“ und „Die Leute lachen“. Du hörst das Lachen auch, du siehst die Leute auch reagieren.

Wie ist das Feedback von den Zuschauern bisher? Ist es ansatzweise vergleichbar mit einer Präsenzshow, in einem digitalen Publikum zu sitzen?

Vergleichbar vielleicht, aber es wird nie das selbe sein. Man fühlt ja auch ein Publikum. Das Publikum selbst fühlt auch ein Publikum, nicht nur der Künstler. Da entsteht natürlich eine ganz besondere Spannung bei einer guten Show. Das ist im digitalen Raum natürlich so nicht herzustellen. Aber was man dann versucht, ist, die Vorteile von einer digitalen Show mehr zu nutzen.

Was für Vorteile sind das?

Früher hat man zum Beispiel Abstimmungen über Applaus geregelt. Jetzt kannst du einfach straight up ein Menü erzeugen, das alle auf ihrem Rechner sehen, wo sie instant abstimmen können. Du kannst mehr wie eine Live-Fernsehshow agieren. In der letzten Show haben wir so getan, als würde sich jemand in unsere Show reinhacken – der Comedian Sebastian Rohner hat den gespielt. Oder wir können auch Video-Sketche vorher vorbereiten und einspielen.

Für das Publikum ist es eher vergleichbar mit einer Live-Fernsehshow als mit einer Präsenzveranstaltung?

Es gibt bei uns verschiedene Arten von Tickets. Es gibt Tickets, bei denen guckt man einfach nur zu, und hat keine Interaktion und dann gibt es die Interaktiv-Tickets. Da werden die Leute zugeschaltet und wir können wirklich mit denen reden. Du kannst dann sagen „Regie, gib mir mal den Typen mit dem roten Pullover“ und dann bringen die den nach oben und du kannst mit der Person reden wie in einem Zoom-Call. Crowdwork, Interaktion mit dem Publikum, ist also trotzdem möglich, wenn auch nicht ganz so unbefangen, wie wenn die Person jetzt einfach dasitzen würde.

Und das funktioniert?

Es geht besser als man denkt. Ich war selber sehr skeptisch, was diese ganzen Shows-im-Internet-machen-Problematik anging. Jetzt bin ich relativ selbstbewusst, was das angeht. Solche Shows haben natürlich auch noch mal ihre besonderen Umstände und sind aufwändiger als es Open Mics vorher waren.

“Du könntest also eigentlich im Optimum eine brennend heiße Show mit Publikum machen wie früher und verkaufst zusätzlich 1.000 Tickets im Internet nebenher. Ist natürlich ein ganz anderes Game plötzlich.”

Irgendwann können Shows ja hoffentlich wieder mit Live-Publikum stattfinden. Sind digitale Shows etwas, was ihr auch dann noch veranstalten wollt?

Wenn jetzt morgen Corona komplett gelöst wäre und wir einfach zum normalen Status quo übergehen, würde ich kombinieren: Wir machen eine Show im Hinterzimmer einer Bar mit circa 50 Leuten und streamen zusätzlich live. Das macht monetär mehr Sinn als Videos bei YouTube in der Hoffnung da seine Tausend Views zu bekommen. Du könntest also eigentlich im Optimum eine brennend heiße Show mit Publikum machen wie früher und verkaufst zusätzlich 1.000 Tickets im Internet nebenher. Ist natürlich ein ganz anderes Game plötzlich.

Wie viel geht es bei euren digitalen Shows momentan einfach nur darum, den Performance-Muskel nicht einschlafen zu lassen – und wie viel darum, neues Material zu testen?

Beides. Ganz klar ist es für uns alle jetzt schon seltsam, auf die Bühne zu gehen, weil wir das teilweise monatelang nicht mehr machen konnten. Wenn man ein paar Wochen nicht mehr auf der Bühne war, dann ist man schon ein bisschen rostig, nicht mehr ganz so selbstbewusst, nicht mehr so souverän, muss manchmal auch darüber nachdenken, was man gerade sagen will, selbst wenn man sich vorbereitet. Neues Material zu entwickeln ist aber auch wichtig. Der Schreibmuskel muss ja auch weiter trainiert werden. Es ist natürlich ein bisschen schwieriger.

Inwiefern ist es schwieriger?

Die wenigsten Comedians, die ich kenne, können sich hinsetzten und einfach sieben gute Minuten zusammenschreiben. Ich und auch viele andere Comedians schreiben normalerweise so, dass wir uns was Loses ausdenken, das in Stichpunkten zusammenfassen, auf eine Bühne gehen und einfach reden. Man nennt das Schreiben auf der Bühne: Ich weiß zwar ungefähr, wo ich hin will, ich hab ein paar Jokes drin, aber dann schreib ich unter Druck. Unter der Situation wird man dann automatisch witziger, um sich zu retten. Man nimmt das alles auf, nimmt die besseren, improvisierten Sachen mit rein, beim nächsten mal hast du vielleicht schon die doppelte Anzahl an Jokes und dann machst du auf diesem Bit so weiter. Deswegen sind solche Räume, wo man das alles mal aussprechen kann und wo man einfach reden kann, schon sehr wichtig.

Wieviel kann man als Comedian hierbei aus dem digitalen Mic mitnehmen?

Stand-up ist eine Live-Kunst, die von diesem Live-Publikum und dieser ganzen Atmosphäre auch sehr stark lebt. Aber es ist besser als nichts auf jeden Fall. Bei einem digitalen Open Mic muss man lernen, dass man für einen guten Joke nicht wie früher einen Riesen-Lacher bekommt. Da muss man sich neu kalibrieren und dann bekommt man schon einen relativ guten Ausschlag dazu. Es ist zumindest etwas, um die Muskeln nicht verkümmern zu lassen und sich so ein bisschen drin zu behalten im Spiel.

Hast du Tipps für andere Comedians und Humorschaffende, durch diese Zeit der Pandemie zu kommen?

Jetzt ist die Chance, weil es ja keine Ablenkung durch Auftritte gibt, zu sagen: Ich entwickle was fürs Netz, was mir eigen ist. Ich würde nicht einfach imitieren, was andere Leute machen, aber ein eigenes Format finden, worauf ich auch Bock habe. Finde dein zweites Standbein! Finde einfach deine Lane, wo es dir Spaß macht als Comedian, darin Dinge zu machen. Es gibt ja genug verschiedene Plattformen. Werd von mir aus ein Instagram-Star, mach kurze Sketche auf TikTok, langformatige Podcasts, vielleicht fängst du auf YouTube an, Tische zu bauen oder zu backen. (lacht) Oder du entwickelst ein Talkformat, das du über Zoom machen kannst oder was auch immer. Man sollte wirklich Bock auf das Format haben, weil man das auch lange durchziehen muss, bis das anfängt, Erfolg zu haben. Ich habe dazu meine Universum-Theorie.

Das klingt spannend. Was ist die Universum-Theorie?

Man sollte als Künstler heutzutage ein Universum um sich herum kreieren mit verschiedenen Modulen. Soll heißen, Podcasts, Videos, Musik von mir aus, Fotos, Bilder, alles – und das sollte online sein. Einmal, weil man darüber Leute generiert, die einen finden. Zum anderen, weil Leute, die einen dann finden, auch bei einem bleiben. Wenn man dann nämlich einmal diesen Glücksfall hat, dass man von irgendjemandem gerepostet wird, der eine große Reichweite hat und das einzige, was es dann online von dir gibt, dein Sieben-Minuten-Set im Fernsehen und vielleicht eine halbwegs gepflegte Facebook-Seite mit drei Posts sind, dann verlieren die Leute das Interesse an dir und du wirst vergessen.

Wie blickst du nun in die Zukunft? Was sind deine Hoffnungen für die weitere Zeit der Pandemie und die Zeit, wenn es danach hoffentlich endlich mit Live-Unterhaltung weitergeht?

Ich arbeite jetzt einfach an den digitalen Projekten, so gut ich kann und so viel ich kann. Neben “KussKuss” habe ich zum Beispiel auch mehrere Podcasts. Ich habe jetzt die Zeit und die Muße dafür. Und wenn es wieder live losgeht, dann hat das hoffentlich schon einen Effekt gehabt, dann ist da vielleicht schon sehr viel mehr an Reichweite und Interesse an uns und unseren Produkten entstanden, das wir für uns nutzen können. Und dann können wir auch vielleicht die neue Technik, die wir uns jetzt gerade aneignen, für unsere Live-Events nutzen.

Vielen Dank für das Interview, Jonas.

Interview: Eike Lennart Sell

02.03.2021

Bild: Jonas Imam

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