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"Comedy rettet mich" – Nicole Jäger über ihre ganz persönliche Delfin-Therapie

Stand Up-Comedian und Autorin Nicole Jäger ist dafür bekannt, auch in den schlimmen Themen des Lebens Humor zu entdecken. In ihrem neuen Buch „Unkaputtbar“ schreibt sie unter anderem über häusliche Gewalt, die ihr in einer toxischen Beziehung widerfahren ist. Im Interview erzählt sie, warum ein Mangel an Selbstwert sie nicht daran hindert, auf die Bühne zu gehen – und gibt Tipps für den Start an diejenigen, die in der Comedy ebenfalls einen Anker in ihrem Leben sehen.

Nicole, du bist Comedian und hast mit „Unkaputtbar“ ein Buch über deine Erfahrung mit häuslicher Gewalt und Missbrauch in der Beziehung geschrieben. Worum geht es in dem Buch genau?

In dem Buch geht es um die schwierige Frage, was ein Mangel an Selbstwert eigentlich mit häuslicher Gewalt zu tun hat. Das Thema Selbstwert wird ja häufig immer nur im Zusammenhang mit Körperlichkeit beleuchtet. Darum hänge ich dieses Buch mal an einer anderen Thematik auf und sage: Nee, es hat auch noch ein paar schwerwiegendere Konsequenzen. Es ist vor allem aber ein Buch über meinen Weg aus so einer Scheiße raus. 

Im Buch beschreibst du sehr harte Momente aus deinem Leben –  entsetzlich und berührend zugleich, und dabei im Ton wenn nicht lustig, zumindest doch so, dass man immer mal wieder lachen muss. Welche Rolle spielt Humor bei einem solchen Thema? Gibt es trotzdem etwas zu lachen – oder gerade deswegen?

Humor muss dorthin, wo er am wenigsten stattfindet. Wenn dein Lebensgefährte versucht, dich umzubringen, dann ist das erstmal nicht superwitzig. Aber hätte ich in der Zeit meinen Humor verloren, dann hätte ich es nicht überlebt. In den schlimmsten Momenten fehlt oft Humor. Das ist nicht gut, denn er kann dir helfen, zwischendurch mal durchzuatmen. Thematisch geht es in meinem Buch zwar um häusliche Gewalt, aber am Ende ist es ein Buch über Liebe: über die große Liebe zu einem Mann, die große Liebe zu sich selbst und meine große Liebe zum Humor.

Wie funktioniert es, beim Schreiben genau auf dieser feinen Linie zu balancieren?

Ich kann es nicht anders. Comedy ist mein Schwert und mein Schild. Keine Situation ist so schlimm, dass man darin nicht auch Humor findet. Darum schaue ich auf alles, was passiert, mit Humor – spätestens im Rückblick. 

„Humor macht das schwierige Thema nicht weniger schwierig. Er sorgt nur dafür, dass man davor und danach wieder atmen kann.“

Dein Buch erzählt ein schweres und bedrückendes Thema mit großer Leichtigkeit. Wie wichtig ist es in einer Instagram-Wohlfühlwelt mit vielen Filtern, auch die schweren Themen leichtfüßig und unterhaltsam zu erzählen?

Ich will am Ende ein gutes Gefühl hinterlassen, aber ich rede die Themen nicht schön. Im Gegenteil. Humor macht das schwierige Thema nicht weniger schwierig. Er sorgt nur dafür, dass man davor und danach wieder atmen kann. Die Wohlfühl-Bubble von Instagram ist nochmal was anderes. Die sagt: Eigentlich ist doch alles okay. Und genau das macht Humor nicht. Humor sagt: Es ist gar nicht okay! Nichts daran ist gut und richtig. Und es ist auch nicht witzig. Es gibt aber bei allem Schlimmen immer auch Aspekte, in denen Humor steckt, und bitte lass uns doch das Lachen nicht verlieren. Auch auf der Bühne merke ich: Menschen hören mir besser zu, wenn sie zwischendrin das Gefühl haben: Es ist okay, zu lachen und es ist auch okay, dass ich mich jetzt unwohl fühle. Humor ist Hoffnung. 

Was ist für dich Comedy?

Man darf Comedy nicht damit verwechseln, dass man sich über etwas lustig macht. Ein Comedian beleuchtet ein Thema humorvoll. Wenn mir jemand sagt, man dürfe über ein bestimmtes Thema in der Comedy nicht sprechen, dann sage ich: Du hast Humor nicht verstanden. Die Aufgabe vom Humor ist es, Menschen zusammenzubringen. Wenn man sich über jemanden lustig macht, spaltet es.

Comedy-Profis feiern schon seit einigen Jahren Programme von Comedians wie Hannah Gadsby, in denen es um Misshandlung, psychische Erkrankungen und vieles mehr geht. In Deutschland kommen vergleichbare Programme erst allmählich in der Breite an. Neben deinen Stand Ups sei an dieser Stelle stellvertretend auch das Programm von Lena Kupke erwähnt, in dem sie über ihre Fehlgeburt spricht. Wie beobachtest du die Entwicklungen?

Gesellschaftliche Relevanz war im deutschen Humor der vergangenen zwanzig bis dreißig Jahre meist im Kabarett und in der Satire verortet. Persönliche und dabei gesellschaftlich breite Themen – wie zum Beispiel Depression – in den Vordergrund zu bringen ist eine junge Entwicklung. Das Verständnis dafür, dass Comedians mehr sind als Hofnarren, dass sie nicht dumm sind und auch etwas zu sagen haben, wächst erst allmählich. Es ist großartig, dass in der Unterhaltung inzwischen viel mehr Dinge thematisiert werden und Humor das Mittel dafür ist.

Es gibt kein Thema, das zu krass ist, um es humorvoll zu verpacken. Du brauchst nur die richtigen Leute dafür.“

Gibt es für dich Grenzen – entweder des Humors, oder dessen, was man dem Publikum zumuten kann oder sollte?

Es gibt kein Thema, das zu krass ist, um es humorvoll zu verpacken. Du brauchst nur die richtigen Leute dafür. Du darfst über ein Thema sprechen, wenn du durch deine eigene Erfahrung eine Legitimation dafür hast – so wie ich beim Thema häusliche Gewalt. Ich glaube, wir dürfen dem Publikum auch deutlich mehr zutrauen. Klar, einerseits will man bekuschelt werden und kann Corona nicht mehr hören. Aber trotzdem wollen Menschen ja auch Input bekommen und etwas fühlen. Man muss es nur anbieten.

Schaut man sich die aktuellen Comedy-Programme im Fernsehen an, scheinen Haltung und Relevanz deutlich an Bedeutung zu gewinnen. Die Themen kommen aber häufig aus den Nachrichten oder Schlagzeilen und sind mit vielen Fakten untermauert. Ist Deutschland bereit für relevante Comedy jenseits von Polit-Comedy?

Politische Comedy ist sehr wichtig, weil sie aufklärt. Sie tut aber keinem wirklich weh. Witze über Nachrichten drehen sich immer noch um „die da oben“. Klar: Die sind sehr weit weg und alle können sich darauf einigen. Es läuft vieles blöd, die Politiker wehren sich nicht und damit tut es keinem weh. Wenn du aber über Themen sprichst, die jemanden persönlich berühren, dann ist die Hemmschwelle größer. Ich glaube, wir trauen uns an andere Themen noch gar nicht richtig ran.

Worin besteht die Hemmung?

Wir sind noch zu ängstlich beim Humor. Es soll sich niemand angegriffen fühlen. Du kannst aber nicht alle Trigger-Points von 80 Millionen Menschen kennen. Außerdem ist es die Aufgabe von Humor, wunde Punkte zu berühren und spitz zu sein.

Du hast dabei für dich viele Ausdrucksformen gefunden. Du bist nicht „nur“ Comedian. Du machst  Poetry, hast direkt mit deinem ersten Buch einen Bestseller gelandet und bist über die Lesetour dazu zur Stand Up Comedy gekommen. Welchen Stellenwert hat der künstlerische Ausdruck in deinem Leben?

Das ist meine persönliche Delfin-Therapie. Kunst hat mich immer gerettet. Schreiben rettet mich. Comedy rettet mich. Auf der Bühne zu sein rettet mich, weil auf der Bühne immer alles in Ordnung ist. Beim Schreiben ist es ähnlich. Das macht meine Welt heile. Ich verwandele alles, was mir weh tut, in Kunst. Ich bin immer noch essgestört, aber heute mache ich daraus Kunst und spreche auf der Bühne drüber. Ich habe lange versucht, vor vielen Dingen wegzulaufen. Irgendwann habe ich dann entschieden, über die Dinge, die mich verletzen zu reden. Irgendwie wurde es dadurch besser.

Ein wichtiges Thema in deinem Buch, aber auch in deinem Leben, ist ein Mangel an Selbstwert. Wenn man dich auf der Bühne sieht, bekommt man einen anderen Eindruck. Wie passt das zusammen?“ Fühlst du dich wohl auf der Bühne?

Es ist fast schon schizophren. Immer, wenn ich draufstehe, fühle ich mich wahnsinnig wohl auf der Bühne. Auf der Bühne ist alles gut. Ich denke nicht darüber nach, wie ich aussehe und was ich mache. Wenn ich aber noch hinter der Bühne stehe und weiß, ich muss gleich raus, sterbe ich tausend Tode. Wenn ich auf der Bühne bin, habe ich nicht das Gefühl auf der Bühne zu stehen. Es fühlt sich einfach nur danach an, dass ich gemeinsam mit dem Publikum etwas Geiles mache.

Was fällt die auf der Bühne am schwersten?

Bei meinem ersten Programm musste ich lernen, Applaus auszuhalten. Was soll das? Meinen die mich? Irgendwann wurde mir klar: Die meinen nicht mich. Die meinen das, was ich mache und das, was sie dadurch gerade fühlen.

„Mach es! Bloß nicht aufhören, nur weil es nicht klappt. Immer weitermachen, wenn man ein bisschen Talent hat oder es unbedingt will.

Wenn du sagst, die Bühne, beziehungsweise Kunst ist eine Therapie für dich: Bist du jetzt „geheilt“?

Es wird besser, ich werde aber niemals an den Punkt kommen, an dem ich morgens aufstehe und denke: „I’m so fucking gorgeous!“. Die verkauften Bücher oder die Tatsache, dass ich auf der Bühne nicht verkacke, zeigen mir, dass ich offenbar etwas kann. Das hilft mir. Ich empfinde allerdings sehr viel Demut, wenn ich mir bewusst mache, dass es Menschen gibt, die Geld dafür ausgeben, um mich zu sehen; und die sich ein paar Monate darauf freuen, mein dummes Gesicht zu sehen, während ich etwas mache, woran ich auch noch Spaß habe. Das ist eine hart große Sache für mich. Ich komme ja aus der größten Scheiße: Ich war mal wohnungslos, habe im Rollstuhl gesessen und über 300 Kilo gewogen.

Was empfiehlst du jungen Menschen, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben wie du und die in der Comedy einen Anker sehen?

Mach es! Bloß nicht aufhören, nur weil es nicht klappt. Immer weitermachen, wenn man ein bisschen Talent hat oder es unbedingt will. Und: Nicht auf jeden hören. Und schon gar nicht nur, weil sie eine höhere Position haben. Mir wurde anfangs auch ständig gesagt: „Das kannst du so nicht machen, Nicole.“ Nicht drauf hören, wenn du selbst daran glaubst. Das Publikum wird es dir dann schon sagen. Wenn es wirklich Scheiße ist, wird es nicht funktionieren.

Wie erkenne ich, ob ich „ein bisschen Talent“ habe – insbesondere bei niedrigem Selbstwert?

Wenn du schon nicht an dich selbst glaubst, dann glaub wenigstens an das, was du machst. Wenn du das selbst wirklich witzig findest, dann bring es irgendwo hin, wo es Leute hören können. Die werden es dir dann zeigen. Aber erstmal muss es vor dir selbst bestehen. Genau so mache ich es: Was ich auf der Bühne mache, finde ich selbst witzig. Auf der Bühne stelle ich dann fest, ob das Publikum das auch so sieht.

Wie würdest du das Gefühl beschreiben, wenn man auf die Bühne geht?

Es ist wie vom Fünfmeterbrett zu springen: Wenn du draußen bist, bist du draußen. Du musst nur einmal vom Schatten ins Licht kippen.

Du kippst bald auch wieder ins Licht der Comedy-Bühnen, sobald sich die Situation weiter entspannt. Was kommt sonst noch nach dem Buch?

Ich orientiere mich gerade stärker im fiktionalen Bereich und arbeite u.a. mit der Odeon Fiction an einer eigenen Serienidee. Mein Podcast „Ponyhof und Mittelfinger“ wird natürlich auch weiterlaufen. 

Nicole, vielen Dank für das Gespräch!

Das Buch „Unkaputtbar“ ist hier erhältlich.

Interview: Jochen Voß

19.08.2021

Foto: Archiv Nicole Jäger (oben)

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